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  • AutorenbildKarla B.

Vom nicht sprechen können

Aktualisiert: 5. Nov. 2023

Es gibt viele Situationen in meinem Alltag und der Therapie in denen von mir erwartet wird über mich und uns zu sprechen oder mich in schwierigen Situationen mitzuteilen. Zum Beispiel, wenn mein Mann bemerkt, dass ich ständig wegdrifte oder konfus durch die Wohnung laufe oder ich meiner Therapeutin von der Zeit seit der letzten Therapie und eventuellen Vorkommnissen erzählen möchte. Ich weiß mittlerweile, dass es gut ist darüber zu reden und ich möchte mich mitteilen, trotz dessen, dass da ständig Scham ist, doch dann versagt oft meine Sprache und das Sprechen allgemein.


Ich möchte in dissoziativen Situationen sagen können, dass ich Hilfe brauche uns zeitlich, situativ und personell zu orientieren, dass ich Haltepunkte im Jetzt wie ein Gespräch über neutrale alltägliche Dinge brauche oder nach einem Ammoniak Stäbchen suche, während ich meine Umwelt nur noch als wirr aneinandergeschnittene Momente erlebe in denen ich existiere und wieder nicht existiere:


>>Wie im Nebel, unter einer dicken Schicht Watte, mit chaotischen lauten und stummen Schreien im Inneren, den eigenen Herzschlag zu laut in den Ohren habend und dem Gefühl, dass sich das als eigenes Selbst wahrgenommene ICH im verrückten und verschobenen Sein auflöst, laufe ich mit dem letzten Gefühl in den Beinen, durch die Wohnung und suche hektisch... Kurz frage ich mich was ich eigentlich suche, doch meine Gedanken lösen sich auf wie poröses Pergament, wenn ich sie greife und versuche zu Ende zu denken. <<

(eigenes Beispiel)


Ich möchte mitteilen, dass mich gerade eine Lawine an undefinierbaren fremden Gefühlen und Bildern überrennt oder was ich am Körper fühle, wenn ich bewegungsunfähig im Bett liege. Oder dass ich mich nicht lösen kann aus einer Starre und einem Wegdriften, weil etwas in mir vor irgendetwas Angst bekommen hat, während ich vermeintlich still auf dem Sofa sitze und Fernsehen schaue.


Trotzdem kommt dann auf die Frage von außen, ob alles ok sei, häufig ein reflexartiges "Hmm ja, alles gut" aus dem Mund. Während das Herz einen Schlag aussetzt, um dann in den Magen abzustürzen und sich ein anderer Anteil an den Rand meiner Wahrnehmung schiebt, welcher mir Vorwirft "erwischt" worden zu sein und das Recht auf Hilfesuchen und in der Not gesehen werden negiert. Worunter sich dann das ursprüngliche Problem noch verstärkt, weil irgendwer im Innen gehört hat, wir seien "erwischt" worden und daraufhin Panik vor vermeintlichen Folgen hat und ich mich schäme.


Ich versuche dann im zweiten Anlauf mit aller Kraft aus mir etwas herauszubekommen, was Botschaften enthält wie: "Nein es ist gerade nicht gut!", "Ich brauche Hilfe!" oder "Halt mich, weil ich verschwinde!", doch die Worte sind nicht greifbar in dem Moment wo ich sie formulieren und sprechen möchte und mein Gehirn versagt seinen Dienst. Ähnlich verhält es sich in solchen Momenten mit Nachfragen zu dem was passiert ist oder was helfen kann. Was ich brauche sind sichere Ankerpunkte im Außen um überhaupt wieder in einen Zustand zu gelangen in welchem ich Denken und Handeln kann und um nicht ganz und gar wegzurutschen.


Für mich ist es ein riesen Erfolg, wenn ich es in solchen Situationen schaffe genug Handlungsfähigkeit aufzubringen, um z.B. zu jemanden hinzugehen oder jemanden Anzurufen und das "Hmm ja, alles gut" zu unterbinden. Ich bin dann nicht in der Lage zu zeigen oder zu versprachlichen, was ich/wir brauche/n oder was los ist. Ich brauche einfach nur so viel Orientierung durch meinen Gegenüber, bis ich selbst denken kann und einen Abstand zu dem Vielen hinbekomme, was gerade auf mich einprasselt. Ich verlange von niemanden das gesamte System für mich zu beruhigen. Gut, wenn davon wer nach draußen kommt, weil ich mich nicht halten konnte und es sich dabei nicht um ein orientierten Anteil handelt ist es natürlich vorteilhaft, wenn dann jemand im Außen ist und sich darum kümmert, aber abgesehen davon ist es meine und K.s Aufgabe dafür zu sorgen, dass ein Gefühl von Sicherheit immer und immer wieder da ankommt, wo es grade gebraucht wird und was vielleicht irgendwann dafür sorgt, dass das Gefühl von diesen Anteilen selbst gehalten werden kann.


Wenn ich nach stärkeren dissoziativen Zuständen (bei den ich noch irgendwie, zumindest resteweise, als ICH anwesend war - Co-Bewusst) und/oder bei aufdrängenden Erinnerungen versuche zusammenzubekommen, was da passiert ist und wie das innere und äußere Erleben war, ist es schon deshalb schwierig, weil meine Erinnerung daran verschwommen und durcheinander ist. Ich weiß, da war was, auch wenn es sich unwirklich anfühlt und es war extrem, aber meistens verwirrt mich die Situation selbst so sehr, dass ich nicht mehr richtig zusammenbekomme was da eigentlich passiert ist, außer dass es viel und sehr chaotisch war und mich soweit überfordert hat, dass ich begonnen habe mich aufzulösen, dass ich die Kontrolle verloren habe.


Über diese Zustände laut zu sprechen oder auch allgemein über schwere Themen zu reden, die mit uns zu tun haben, lösen dazu ebenfalls oft Sprach- und Sprechblockaden aus. In dem einem Moment sind die Worte noch da und im nächsten lösen sie sich einfach auf, fühlen sich an, als ob sie mir entzogen würden und alles was ich sagen wollte und angefangen habe zu sagen verliert sich im nichts. Mit Hilfe von außen - meine Therapeutin wiederholt dann z.B. geduldig was ich bisher gesagt habe und wartet geduldig - kommt es manchmal zurück und funktioniert wieder für ein paar Sätze, bis es wieder weg ist. Ich bekomme selbst mit, dass ich eben noch geredet habe und einem Faden gefolgt bin, welcher jetzt verschwunden ist.

Plötzlich einen Gesprächsfaden zu verlieren oder nicht auf die Worte zu finden, die beschreiben, was man sagen möchte, das kennt glaube ich jeder, es ist unangenehm und man kommt sich bescheuert vor, aber ein Gespräch wird ungleich anstrengend, wenn einem das bei bestimmten Themen ständig passiert, davon abgesehen, dass ich meinen Mund auch dann oft nicht aufbekomme, wenn ich mal nicht den Inhalt verliere, anfange wegzudriften oder von einem Einwand von Innen aus meinem Gesprächskonzept gebracht werde.


Beim Schreiben gibt es diese Hürde nicht, es stört niemanden und auch mich nicht so sehr, wenn ich mitten im Satz aufhöre und dann irgendwann in der Lage bin weiterzuschreiben. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe warum ich mir überlegt habe, das als Ausdrucksmedium nutzen zu können, um Worte, Gefühle und Erkenntnisse zu finden, zu sortieren, zu behalten und nach außen zu bringen, indem ich sie Aufschreibe.


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