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  • AutorenbildKarla B.

Mutig sein

"Ich finde Sie sind sehr mutig."


Knall, peng.... Was?! Mutig? Ich?


Unsere Therapeutin meinte ausgerechnet wirklich mich damit. Sie kann uns unterscheiden und sie wusste auch mit wem sie sprach als sie das sagte.


Vielleicht sind andere Anteile von uns mutig, aber ich?

Nicht K., nicht A. oder wer anders?

Ich?

Ich habe doch gefühlt ständig Angst und schäme mich für alles mögliche. Ich versuche doch bloß mir das nicht auch noch anmerken zu lassen.

Ich/Wir sind irgendwie so gepolt, so Augen zu, nicht nach links und rechts schauen und dann mit dem Kopf durch die Wand. Trotz Angst, trotz Scham.

Irgendwie durchs Leben kommen. Irgendwie nicht auffallen.


So war es zumindest oder so ist es auch noch, aber auch ganz anders. Ich schaue mehr nach rechts und links als noch vor ein paar Jahren. Nicht nur im Außen, sondern auch im Innen. Damals war ich wie blind in unserem Leben umherstrauchelnd. Hinterherhechtend hinter einem Bild von "Normalität" wie ich sie mir erdachte, in einer Welt die ich ebenso wenig verstand wie ich uns verstand. Andauernd in einem Strudel der Überforderung gefangen. Und ich hatte es nicht einmal bemerkt. Der Ausschnitt den ich betrachtete war zu Schmal dafür. Ich hatte Angst vor der Scham und Scham wegen der Angst, was hieß die Angst zu verbergen und alles zu vermeiden was Scham auslöst. Sprich: "Komme so normal wie nur möglich rüber." Ich habe uns hinter dem Alltag versteckt und war unfähig zu erkennen was das insgesamt mit uns macht.


Ich bemerke es jetzt. Stück für Stück wird mir das klarer. Bemerke jeden Tag wieder, wie sehr uns auch schon dieser abgespeckte Alltag erheblich zusetzen kann. Wie nur eine Sache zusätzlich oder etwas ungeplantes passieren muss und wir sofort wieder an der Spitze des Stresses ankommen und der ganze Körper komplett unter Strom steht. Je mehr ich dafür ein Blick bekomme, desto mehr merke ich auch wie wichtig das "über den eigenen Horizont hinausblicken" für uns insgesamt ist. Ich dachte wirklich lange Zeit, dass es doch reicht, dass eine von uns sich mit uns auseinander setzt. Ich sah nicht, dass ich und andere in uns das vielleicht auch tun müssten. Ich war davon überzeugt, dass ich es ignorieren kann und der Anteil das schon alleine irgendwie managen könnte.


Meint sie mit Mutig vielleicht, dass ich mein Konzept von Leben innerhalb meiner Blase aufgegeben habe? Dass ich es mittlerweile aushalten kann mich mal wirklich in unserem Leben und in der Welt umzuschauen? Also so richtig mit dabei zu sein?

Die Angst und die Scham ist nicht weg. Nein sie ist sogar sehr doll da, ich habe nur mehr Kraft dafür, dass sie da ist.

Unser Alltag lässt das mittlerweile zu, dass wir weniger Kraft und Zeit ins aufrechterhalten eines "normalen-Lebensstiels" stecken und sie stattdessen mehr dafür zu verwenden Dinge ausprobieren zu können. Phasenweise das Leben wirklich wahrzunehmen und sich auch als Teil in diesem zu fühlen. Er bietet den Raum zu erkennen, dass wir eine Wahl haben und mitgestalten können und die Zeit das ganz langsam zu tun.


Aber ist es Mutig wenn man quasi dazu gezwungen ist das so zu tun? Mir ist damals nichts anderes übrig geblieben als eine Pause einzulegen, es ging uns insgesamt zu schlecht, auch körperlich. Ich weiß auch nicht ob ich eine echte Wahl hatte nach der Pause, die dann ja doch nicht mehr aufhörte bis jetzt, weiterzumachen. Wir sind aus dem Tritt gekommen und dann wars vorbei. Alles was ich so an Kontrolle gedacht habe war weg und wir rasselten in einen Abgrund rein, aus welchem wir ja immer noch versuchen rauszukommen. Nur halt nicht mehr jeder einzeln und auch nicht zurück an die Stelle an der wir abgestürzt sind. Wir versuchen ja neue Wege zu gehen...


Ich gehe mit, trotz Angst, trotz Scham. Alleine zu bleiben während alle anderen sich aufmachen macht mir noch mehr Angst. Mein Gefühl ist: Wenn ich es schon nicht verhindern kann und das anscheinend die einzige logische Richtung ist, dann kann ich doch zumindest schauen wohin uns der Weg führt. Vielleicht wird ja wirklich was besser? Vielleicht wird ja irgendwann sogar die Angst und die Scham besser. Ich weiß zumindest schon mal, dass diese Gefühle heute, in diesem Leben, oft unbegründet sind.


Vielleicht ist das auch ein bisschen Mutig... Verzweifelt mit einer priese Mut und insgesamt scheinbar ganz viel Sturheit darin irgendwie weiter zu machen.


Teil davon zu sein diesen Blog zu schreiben erfordert auf jeden Fall sehr viel Mut von mir. Überhaupt, dass wir sichtbar sind, auch wenn es nicht mit unserem Klarnamen passiert erfordert viel aushalten können von Scham oder der Angst davor. Momentan habe ich das Gefühl ich kann das aushalten und muss das und uns nicht so sehr verstecken. Vor zwei Jahren währe das aber noch undenkbar gewesen.


Ich empfinde mich grundsätzlich nicht als sehr Mutig, aber vielleicht bin ich auf dem Weg dahin. Vielleicht liegt der Mut auch darin einfach weiter zu machen. Jeden Tag zu schauen welche Schritte gegangen werden können. Vielleicht ist es stellenweise auch genauso mutig mal einen Schritt nicht zu tun, ein mögliches Scheitern zuzulassen, die Gefühle dabei aushalten zu können und es dann erneut zu versuchen.





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