Es ist ein Aufschwung gewesen. Eine Zeit die irgendwie wirklich gut war, nachdem es Anfang diesen Jahres ganz anders aussah.
Es ging uns so schlecht, dass wir uns freiwillig in eine Klinik aufnehmen ließen. Ja das soll schon was heißen, immerhin waren unsere vorherigen Klinikerfahrungen sehr durchwachsen bis eher negativ. Die Hemmschwelle war riesig, aber die Tage waren hoffnungslos und schwanden in Dissoziationen dahin. Jeder Tag war unaushaltbar und dann war da ja auch noch der Gedanke: "Morgen ist auch wieder ein Tag und danach... und danach... Und dann geht das so weiter, Tag für Tag, Jahr für Jahr...". Hoffnungslos ohne Sinn und Ziel umherstrauchelnd beschreibt es ganz gut.
Dazu kamen sehr viele Panikattacken. Irgendwann reichte es. Wir entschieden, dass sich etwas ändern muss und zwar schnell, sonst würde sich irgendwer von uns früher oder später umbringen. Wahrscheinlich eher früher...
Nachdem es anfangs nicht so aussah, als ob uns in der Klinik wirklich geholfen werden könnte und die Verzweiflung wuchs, entwickelte sich dann doch alles anders. Zum Glück!
Wir erarbeiteten uns über eine Collage, was eigentlich gerade die Themen sind die uns beschäftigen: Folgen der Psychose, bzw. der Behandlung und die Befürchtung, dass wir wieder eine Psychose bekommen könnten, Angst davor nie wieder etwas hinzubekommen. Das Gefühl überflüssig und eine Last zu sein. Die Orientierungslosigkeit mit der wir gerade durch unser Leben strauchelten. Und last but not least: Angst oder besser Panik davor unseren Mann zu verlieren (also dass er sterben könnte oder sowas).
Tatsächlich stellten wir fest, dass wir zu der Zeit gar nicht so sehr unter den Gewalterfahrungen in unserer Kindheit litten, sondern viel mehr an unserer Lebenssituation und unseren Bewältigungsstrategien wie sie noch Anfang des Jahres waren.
Wir kamen zu dem Schluss, dass es uns besser gehen würde, wenn wir nicht so viel "Leer-Zeit" hätten, die dann mit Dissoziation oder Angst gefüllt ist.
Also starteten wir durch und fingen an zu überlegen, wie wir unseren Alltag so gestallten könnten, dass weniger "Leer-Zeiten" entstehen, wir uns aber auch nicht überfordern und permanent von uns selbst "auf Abstand" sind, da dies schon früher einmal glorreich gescheitert war.
Wir wollten dieses Mal eine Ausgewogenheit herstellen.
Insgesamt konnten wir vier wesentliche Punkte in unserem Alltag ändern.
Als erstes bahnten wir an, uns noch aus der Klinik heraus für einen Minijob zu bewerben. Dieser sollte das Potenzial haben durchaus auch "Spaß" zu bringen. Wir wollten mit Menschen arbeiten, die gute Laune mitbringen und der Job durfte nicht so umfangreich sein, dass im Zweifel auch mehrere von uns die Aufgaben dort gut bewältigen könnten.
Aufgrund meiner Affinität für Rätzel und Spiele fiel die Wahl auf eine Tätigkeit als "Gamemaster" in einem "Escape-Room". Gesagt getan, wir bewarben uns und bekamen diesen Job.
Manchmal kann ich mir den Scherz nicht verkneifen, dass ich in meinem Job ja immer noch Leute einsperre, sie aber dieses Mal freiwillig kommen und ich beim Ausbrechen behilflich bin. Wirklich, das gefällt mir sehr viel besser als unsere Arbeit in einer geschlossenen psychiatrischen Wohngruppe.
Mir kommt der Job auch sehr zugute, weil ich mir zwar keine Gesichter merken kann, aber sehr gut in "Erstkontakten" mit meiner oft gelobten "lustigen und ungezwungenen Art" überzeugen kann.
Jaaaaa..... ich weiß Selbstlob und so, aber ich bin einfach gerade stolz eine Stärke an mir entdeckt zu haben, die uns auch Jobtechnisch etwas bringt.
Es ist definitiv der perfekte Job für mich. Das Team ist entspannt, offen und unvoreingenommen, wir haben sogar davon erzählt, dass wir aufgrund der Psyche Schwerbehindert sind, Rente erhalten und einen Traumahintergrung haben (früher ein Ding der Unmöglichkeit).
Es wurde einfach akzeptiert, wir wurden nicht anders behandelt dadurch. Naja außer der Tatsache, dass wir öfter gefragt werden ob wir spontan arbeiten können, aber ich denke das hängt damit zusammen, weil ich unserem Chef erzählt habe, dass es im positiven Sinne so einen großen Unterschied macht wie es mir mit der Arbeit, versus Anfang des Jahres ohne die Arbeit, geht.
Sie wissen zwar nicht, dass wir "Viele" sind, aber es ist schon ein riesen Schritt überhaupt auf der Arbeit zu sagen, dass man psychische Probleme hat.
Ich fühle mich akzeptiert, gebraucht und kompetent wenn wir dort arbeiten.
Ein anderer Anteil von uns wollte aber auf jeden Fall auch unsere therapeutische Expertise nicht ungenutzt lassen. Dafür ist ein Escape-Room natürlich nicht der richtige Ort. Für diesen Part haben wir uns entschlossen, bzw. sind wir über einige Fügungen, dazu gekommen, bei dem Verein "Aus-unserer-Sicht e.V." ehrenamtlich die online stattfindende "AG Hilfesystem" mit einer anderen Betroffenen zu moderieren. Hier fügen sich wieder zwei unserer Welten zusammen, wie es früher für uns undenkbar war. Wir können dort unsere Expertise als Ergotherapeutin, aber auch die Seite des Betroffen seins einbringen. Irgendwann im letzten Jahr schrieb jemand von uns, dass dies das ist, was wir suchen, eine Nische in der wir beides sein dürfen. Diese haben wir definitiv gefunden. Es tut gut sich mit anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen austauschen zu können, nicht immer alles genauer erklären zu müssen und dazu noch daran zu arbeiten, dass sich langfristig in unserem Hilfesystem etwas zu Gunsten von Betroffenen von sexualisierter Gewalt in der Kindheit und Jugend ändert. Wir träumen davon, dass die Erfahrungsexpertise von Betroffenen als Bereicherung zu dem Fachwissen, welches man auch als nicht betroffene Person erwerben kann, gesehen wird. Viele Betroffene verfügen über beides, können das aber nicht zeigen, aus Angst vor vielfältiger Diskriminierung.
Blieb noch der Punkt mit der Mobilität für den Job im Escape-Room... Ein Auto können wir uns aktuell nicht leisten und mit Bus und Bahn zur Arbeit zu fahren ist für uns realistisch gesehen auf Dauer keine Lösung gewesen. Wir sind zu Reizempfindlich dafür und tatsächlich oft überfordert in öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch die Hürde überhaupt zur Arbeit zu kommen wäre damit zu hoch. Und dann ist es auch noch ziemlich teuer, sodass jedes Mal ein Teil des geringen Lohns dafür draufgegangen wäre. Ja in Deutschland bekommst du natürlich keinen Rabatt für den Nahverkehr, wenn du "nur" Schwerbehindert bist und Rente bekommst. Wäre ich einfach nur Arbeitslos sähe das ganz anders aus.
Eine andere Lösung musste her.
Ein Anteil, welcher früher immer unser Auto fuhr beschloss, dass wir es wagen sollten ein Moped zu kaufen. Es ist nicht so teuer in Anschaffung, Unterhalt und Tanken wie ein Auto, wir sind in der Stadt flexibel und können überall parken. Ich hatte eine heiden Angst davor, was alles schief gehen kann, wenn wir Moped fahren, aber umgesetzt haben wir es trotzdem. Bis heute bereue ich das nicht und fahre auch manchmal selbst damit. Wir sind definitiv flexibler mit diesem Teil, können auch mal kurze spontane Schichten im Escape-Room übernehmen und sind nicht angewiesen auf jemanden der uns fährt oder auf die Zeiten von den Bus und Bahn Linien, die gerade spät Abends und an den Wochenenden eh nicht so dolle sind. Für den Winter können wir uns dann ja noch mal überlegen wie wir das machen.
Des weiteren lernte ich in der Klinik das Häkeln von einer Mitpatientin und baute diese Fähigkeit selbständig zuhause weiter aus. Uhi ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr mir das Hilft auch in "Leer-Zeiten" nicht ständig in trance-artige Zustände zu rutschen. Es ist definitiv energiesparend sich nicht immer aus diesem Sumpf zu ziehen, sondern auch mal einen Bogen um den Sumpf machen zu können.
Alles in allem ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht, eine 180 Grad Wendung in unserem Leben. Natürlich unterstützen wir das mit der Einnahme von Antidepressiva, das hat überhaut erst dazu geführt, dass genügend Energie da war und ist, um das alles umzusetzen... Es war schon krass dies nach ca. zwei Wochen Einnahme zu bemerken. Das erste Mal überhaupt wieder Pläne zu machen und dabei nicht immer zu denken: "Das ist zu anstrengend."
Ich erinnere mich noch an den Moment in welchem mir aufgefallen ist: "Krass waren wir (mal wieder) tief und lange ganz unten in der Depression und das ohne es richtig zu merken... Jetzt fällt mir auf, dass man sich auch noch anders fühlen kann, als es die letzten Jahre der Fall war." Das Gefühl für "etwas ist gerade gut" war völlig weg gewesen.
Wir versuchen uns aktuell nicht zu über-, aber auch nicht zu unterfordern. Der Grad ist Schmal, aber wir sind ja gut im Balancieren und auch im wieder Aufstehen und es noch einmal versuchen.
Die letzten Wochen waren viele Zeiten: "Es ist gerade gut wie es ist". Die Sorge, dass sich jemand von uns bald umbringt ist stark zurückgegangen. Jeder hat so seine Dinge gefunden die uns wieder mehr Leben lassen.
Ja und das ist jetzt das Happy End.
Naja nein, Leben geht weiter und wenn es mal gut ist, dann kommt (wie soll es auch anders sein) der ganze Gefühlsdreck von früher hoch. Frei nach dem Motto: "Oh scheint jetzt etwa Kapazität da zu sein um etwas von den Trauma-Gefühlsdingen ins Bewusstsein zu bringen? Wasser marsch!"
Unsere Träume haben sich verändert, es sind oft immer noch Albträume, aber erstens kann ich mich an diese neuerdings erinnern und zweitens nehme ich während des Träumens und danach auch die Gefühle war. Nicht nur von mir, nein ich träume jetzt auch öfter aus der Perspektive von anderen Anteilen oder die Perspektive wechselt im Traum. Ich fühle wie sich dieser Anteil in dieser Situation fühlt. Oder vielleicht auch: Ich fühle wie sich "Ich`s" auf die ich sonst nicht zugreifen kann fühlen.
Ich frage mich muss das sein? Es überfordert mich, es macht das: "Hey es ist einfach mal alles gut" so scheiße fragil. Mir geht das zu schnell, ich würde gerne einfach an dem "Gut" festhalten. Es einfach eine Weile lang genießen bevor das nächste Tief kommt. Vielleicht einfach etwas so tun als gäbe es die Tiefs nicht, als wären sie Schnee von gestern und kommen nicht mehr wieder.
Die Erfahrung hat mich in der Vergangenheit oft leider eines besseren belehrt.
Vielleicht ist es ja auch so, dass die Anteile die viele Gefühle tragen nicht übersehen werden wollen von unseren Alltags Ichs, wenn wir Dinge tun, die uns helfen uns gut zu fühlen. Vielleicht wollen sie sich auch gut fühlen. Vielleicht brauchen sie etwas anderes dafür als wir mit unserer Arbeit und unserem Schaffen. Vielleicht wollen sie von uns wahrgenommen und anerkannt werden, sowie auch ein Teil von unserem Leben sein. Aber wie? Ich sehe da aktuell keinen Weg der mir nicht: "wäre beschissen für mich und unsere neue Lebensqualität" vorkommt.
Ich will doch auch einfach mal nur so Leben, einfach mal nicht Kämpfen, nicht "so tun als wäre alles gut", nicht balancieren, nicht aushalten müssen. Gibt es irgendwo eine Pause-Taste die das aufploppen von Erinnerungen und Gefühlen stoppt? Mehr Arbeit geht nicht, das ist der Weg der schon gegangen wurde und welcher scheiterte, keine Arbeit geht auch nicht, dies lässt uns völlig in Trace-Zuständen versacken und ausgewogen setzt gerade Gefühle frei, die ich nicht möchte.
Also erstmal kein Happy End, zumindest keins ohne "Wenn und Aber", aber trotzdem ein Meilenstein! Ganz besonders, wenn man es mit dem vergleicht wie das Jahr begonnen hat. Der Vollbrand unter dem wir standen ist erst einmal gelöscht, was bleibt sind die versteckten Glutnester. Hoffen wir, dass sie uns nicht wieder in Brand setzen sondern löschbar bleiben.
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